Die 1980er und (mit Abstrichen) auch die 1990er Jahre können sicher als die große Ära der Sondermodelle bei Volkswagen bezeichnet werden. Nicht nur bei Passat, Golf und Polo gab es praktisch jährlich eine neue Variante, auch Nischenfahrzeuge wie Käfer (Special Bug, Aubergine, Samtroter Sonderkäfer usw.), Scirocco (GTS, Tropic, Scala etc.) und selbst der Jetta (Court, Beach, Strada usw.) waren in diversen Sonderausführungen erhältlich. Mal beschränkte man sich auf eine optisch kaum von den Serienmodellen zu unterscheidende Kombination beliebter Extras zum besonders günstigen Preis (am konsequentesten sicher in Form der jährlich wechselnden "Bestseller"-Modelle, siehe
http://home.arcor.de/tilmangrund/geschi ... na_84.html), mal kreierte man mit relativ hohem Aufwand wirklich exklusive Sonderserien, die sich in Optik und Aussttattung deutlich von den Normalversionen abhoben - zu nennen wären hier aus meiner Sicht etwa der Fire & Ice oder der Edition One beim Golf 2, der White Cat beim Scirocco, der 84er Carat beim Passat oder später Harlekin und Colour Concept beim Polo 6N. Hier argumentierte Volkswagen fast immer auch mit einem Kundenvorteil preislicher Art, betonte gleichzeitig aber einen Aspekt, der in jener Epoche stark an Bedeutung gewonnen hatte: der Wunsch vieler Käufer nach Individualität, dem "Besonderen" eben. Diese "Einzigartigkeit" demonstrativ zur Schau zu tragen, war damals keine Schande - und zum möglichst exklusiv oder exotisch klingenden Namen passende Zierstreifen, Schriftzüge und Embleme als äußere Kennzeichen eines Sondermodells dementsprechend obligatorisch. Ähnliches lässt sich ja in der damaligen Mode beobachten - zumindest ließen sich so die prominenten BOSS, United Colors of Benetton oder Chiemsee Logos auf zeitgenössischen Kleidungsstücken erklären...
Nachdem Volkswagen zum Auslauf des Käfers erste zaghafte Experimente in Sachen Sondermodelle gewagt hatte - publikumswirksamer Auftakt war der "Weltmeister-Käfer" von 1972 mit speziellem Zertifikat und Plakette (!) für jeden Käufer - und in einer schwierigen Phase trotz ölkrisenbedingter Absatzflaute die Verkäufe vor dem Absturz ins Bodenlose bewahren konnte, nahm das Thema dann erst in den frühen 80er Jahren wieder Fahrt auf. Eigentlich kein Wunder, denn spätestens nach der ab 1975 einsetzenden Belebung des Marktes, die sich in den Folgejahren zum wahren Autoboom steigerte, verkauften sich die VW-Modelle der "neuen Generation" wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Sondermodelle brauchte es dazu nicht. Allenfalls vor Facelifts unternahm man eher halbherzige Versuche, den Absatz der alten Version durch eine Sonderausführung nochmals anzukurbeln - siehe den Passat LX oder den "Schwarz-weißen Scirocco", beide von 1977. Auch wenn ganze Modellreihen vor der Ablösung standen, half man mit Sondermodellen nach: 1980 mit einem weiteren Passat LX vor Einführung des 32B sowie Scirocco 1 CL und SL, 1981 mit Derby CL(S) und Polo LX - all diese Spezialausführungen blieben aber letztlich Randerscheinungen. Wirklich hohe Stückzahlen brachte erst das Modelljahr 1983, obwohl man das in dieser Form selbst in Wolfsburg vorher nicht erwartet hatte: Der Golf 1 ging in die letzte Runde, sein Nachfolger sollte im Herbst des Jahres das Zepter übernehmen. Dem 1974 präsentierten Ur-Golf war in Form des Opel Kadett D und des Ford Escort (1979 bzw. 1980 vorgestellt) mächtige Konkurrenz erwachsen, Maßnahmen zur Absatzförderung und -stützung also unumgänglich. Deshalb brachte Volkswagen im Frühjahr 1983 in kurzer Folge drei unterschiedlich positionierte Sondermodelle des Golf auf den Markt: Den sportlich-funktionalen LX, den sportlich-eleganten GX und last but not least das sportlich-exklusive "Sondermodell Golf GTI", heute allgemein als "Pirelli" bekannt. Sie alle waren preislich, optisch und ausstattungsseitig attraktive und sinnvolle Ergänzungen des bestehenden Modellprogramms und übertrafen die in sie gesetzten Erwartungen. Allein diese drei Varianten (und ihre Derivate für ausländische Märkte) wurden bis Herbst 1983 fast 100.000 Mal verkauft, sodass der ursprünglich vorgesehene Aktionszeitraum auf Drängen der Kunden und Händler sogar verlängert wurde. Das scheint ein echtes Aha-Erlebnis für die Marketingstrategen in Wolfsburg gewesen zu sein, denn ab diesem Zeitpunkt setzte die eingangs beschriebene Inflation an Sondermodellen ein, die erst Ende der 90er Jahre wieder abebben sollte. Die Zielsetzung war dabei jedoch durchaus unterschiedlich: Oft galt es, neue Zielgruppen anzusprechen - jüngere (z.B. Golf Match), sportliche (z.B. Polo SP), preisbewusste (z.B. Passat Country) oder zahlungskräftige (z.B. T3 Caravelle Carat) Käufer sollten mit speziell konfektionierten und beworbenen Modellen für die Marke Volkswagen gewonnen werden. Manchmal stellten Sondermodelle aber auch eine Reaktion auf neue Fahrzeuge der Konkurrenz dar (z.B. Pirelli GTI vs. Kadett GT/E). Und natürlich spielte die Stützung der Verkäufe zum Auslauf einer Baureihe weiter eine große Rolle (vgl. Passat Trophy und Trend ab 1987). Am Beispiel Scirocco lässt sich das
HIER ab Seite 84 sehr schön nachlesen.
Im Großen und Ganzen hat das über Jahre wunderbar funktioniert und in Liebhaberkreisen gelten gerade die Sondermodelle als besonders sammelnswerte Stücke - man schaue sich nur die Preisentwicklung des Pirelli GTI in den letzten zehn Jahren an... Mich wundert das nicht, denn Volkswagen hat es in den Achtzigern und Neunzigern wirklich gut verstanden, mit diesen Varianten nicht nur sein Modellprogramm sinnvoll abzurunden, sondern auch den Zeitgeist einzufangen. Welches andere Automobil drückt das alpinweiße Lebensgefühl des Jahres 1985 (Wimbledon-Sieg von Boris Becker!) besser aus als ein Scirocco White Cat? Ist der Polo Harlekin nicht ein hervorragendes Dokument der kunterbunten, aber nicht immer ganz stilsicheren 90er Jahre?
Andererseits lässt sich auch der Mangel an spektakulären Sondermodellen seit der Jahrtausendwende aus dieser Perspektive deuten: So wie die Achtziger die große Zeit des Showtunings und der optisch eigenständigen Spezialversionen waren, so könnte man die 00er Jahre als Epoche der Konformität und Rationalität betrachten. Wenn der 11.9.2001 tatsächlich das Ende der "Spaßgesellschaft" markiert, erscheint das völlige Fehlen markanter Sondermodelle in den Folgejahren nur konsequent: Individualität ja, aber bitte nicht zu dick aufgetragen. Alufelgen oder spezielle Sitzbezüge in Verbindung mit einem dezenten Schriftzug schienen in diesen Jahren das höchste der Gefühle zu sein. Klar, dass so die Unterschiede verschwimmen und die "Tour", "Team", "Goal", "United", "Edition" oder wie auch immer benannten Modelle austauschbar werden. Das fand ich schon damals sehr schade und freue mich, dass mittlerweile offenbar wieder umgedacht wird: Mit dem Scirocco GTS oder Million, dem black up! und white up!, vor allem aber dem Beetle GSR belebt man in Wolfsburg allmählich eine gute Tradition wieder. Vielleicht gibt es ja eines Tages auch wieder einen Passat Carat - wer weiß...
Viele Grüße
Jörn